Buchrezension: «The Deluge» von Stephen Markley

Payal Parekh
4 min readDec 16, 2024

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Bild vom Maler, Bill Russell, «The Deluge». Seine Reaktion als Künstler auf die Klimakrise.

Obwohl ich mich seit über 25 Jahren mit dem Klima befasse, erst als Wissenschaftlerin, später als Campaignerin, erlebte ich nie eine tiefe Klimaangst wegen der Klimakrise. Erst das Mammutwerk «The Deluge» des amerikanischen Schriftstellers Stephen Markley hat mich dazu gebracht. Es ist eine Geschichte der Klimakrise von 2013 bis 2039 in den USA und eine Achterbahn der Emotionen. Nachdem ich etwa ein Drittel des Buchs fertig gelesen hatte, spürte ich mehr und mehr eine tiefe Resignation, dass die Welt langsam, aber sicher in einem Chaos versinkt und es unmöglich scheint, das noch zu stoppen. Im Roman gibt es nicht den einen Hiobs-Moment, eine riesige Sintflut wie in der Bibel oder in den Hindu Paranas, sondern immer wieder Extremwetterereignisse, wie wir sie schon heute sehen. Das Buch ist ein Ausläufer unserer jetzigen Situation. Ökologische Folgen sowie soziale und wirtschaftliche Probleme wachsen stetig.

Es ist beeindruckend, wie Markley seine Finger am Puls der Zeit hat — politisch, kulturell und gesellschaftlich. Durch die Handlungen vieler Figuren zeichnet er im Roman ein detailliertes Bild der Welt in der Klimakrise. Eine charismatische Klimaaktivistin, ein wütender Klimawissenschaftler, ein neurodivergenter Technokrat, ein zweitklassiger Schauspieler, der zum fanatischen Pfarrer und Präsidentschaftskandidat (mit Hilfe der Industrie) wird, ein armer Drogensüchtiger, eine skrupellose Werbefachfrau und eine gewiefte Öko-Terroristin zeigen uns verschiedene Sichtweisen einer Welt, die unter einem schleichenden Kollaps leidet.

Die Streitereien und Diskussionen im Buch spiegeln unsere Realität wider. Braucht es technokratische Gesetze oder eine soziale und ökologische Revolution? Soll man pragmatisch sein und mit Politiker*innen arbeiten, um Reformen anzufechten oder sollte man lieber komplett mit dem politischen System und den Eliten brechen? Welche Taktiken sind angesagt; Lobbyarbeit, Aufbau von solidarischen Kreisen, Organizing, ziviler Ungehorsam oder Sabotage?

Es ist keine Überraschung, dass es im Plot eine öko-terroristische Gruppe gibt. Wer kann es ihnen verübeln? Die erste Klimaverhandlung fand 1995 statt und es gab seitdem zahlreiche Aktionen, Kampagnen und Lobbying. Trotzdem haben wir zwischen 1991–2021 global mehr CO2 ausgestoßen, als davor. Wie Andreas Malm in «Wie man eine Pipeline in die Luft jagt», argumentiert die Gruppe 6Degrees im Buch, dass alle anderen Taktiken und Strategien uns nicht zum Erfolg geführt haben. Ihre Schlussfolgerung: Eskalation in der Form der Sabotage ist unsere einzige Rettung.

Die Klimaorganisation Fierce Blue Fire hat eine führende Rolle im Buch; sie ist bereit, mit allen politischen Parteien zu arbeiten, solange sie sich für starke Klimagesetze einsetzen. Gleichzeitig unterstützt sie verlassene Gemeinden, um eine Transformation zu erzeugen. Die Gruppe arbeitet mit einer neu gewählten republikanischen Präsidentin, um ein starkes Klimagesetz zu verabschieden, aber ihre Gegner haben andere Pläne. Die fossile Industrie führt eine starke PR-Kampagne und engagiert Trolle, damit sich Leute von Links und Rechts gegen das Gesetz positionieren. Zusätzlich übt 6Degrees drei Angriffe auf Kraftwerke aus. Beim Lesen fühlte ich mich leer und dachte, dass der Perfekte zum Feind des Guten geworden wäre. Mit welchem Ergebnis? Ein Gesetz, das Klima- und Terrorbekämpfung miteinander vereint. Der Klimateil des neuen Gesetzes verwässert, mehr Befugnisse für die Behörden, gegen Terror vorzugehen.

Ist es möglich, Sabotage hoch zu skalieren und effektiv umzusetzen, um Klimagerechtigkeit schneller voranzutreiben? Kann das funktionieren, ohne einen großen Teil der Bevölkerung zu entfremden? Im Buch wird die Sabotage von einer kleinen Gruppe gesteuert und basiert auf High-Tech-Interventionen, was das Nachahmen schwierig macht. Im Roman werden Sabotage-Akte auch nicht von der Kerngruppe durchgeführt, die stattdessen arme Leute mit Geld lockt.

Die Frage der Repression ist für mich immer schnell präsent, wenn ich über Sabotage nachdenke. Wie reagiert der Staat, wenn Infrastruktur kaputt gemacht wird?

Im Buch werden mehrere Operativen zu längeren Haftstrafen verurteilt. Auch in unserer realen Welt wenden mehrere Länder Anti-Terror Gesetze an, um Klimaaktivist*innen wegen zivilen Ungehorsams zu verhaften, wie Winfried Lorenz, der an mehreren Sitzblockaden der Letzten Generation teilnahm.

Als 6Degrees weiter eskaliert und entschieden wird, Attentate durchzuführen, habe ich meine Bewunderung für sie verloren. Das System wird nie von einzelnen Personen gesteuert und die Toten werden einfach von anderen Menschen ersetzt. Und was macht man mit der ganzen herrschenden Klasse, falls sich die Machtverhältnisse ändern?

Gehorsam durch Angst zu erzwingen ist keine zielführende Strategie — wie Audre Lorde schrieb, «Die Werkzeuge der Herrschenden werden das Haus der Herrschenden niemals einreißen».

Trotz katastrophaler Zustände nach Extremwettern, der dysfunktionalen Wirtschaft und der Terrorangriffe, geht das Leben in Markley’s USA der 2030er Jahre weiter. Und auch der Kampf gegen die Klimakrise hört nicht auf. Mehrere Figuren im Buch verbünden sich, um die Finanzkrise und die politische Krise zu nutzen: Sie wollen ein Gesetz verabschieden, das tatsächlich einen Unterschied macht. Markley erzählt hier imposant, wie eine Gesetzesänderung im Jahr 2037 hilft, den Temperaturanstieg in Schach zu halten — selbst wenn die Industrie durch Lobby-Einfluss für Einbußen entschädigt wird. In diesem Kapitel kehrte meine Zuversicht langsam zurück und meine Angst löste sich auf; so einfach findet der Kollaps nicht statt!

Was nehme ich mit für unsere Zeiten? Ja, wir müssen auf Katastrophen vorbereitet sein, um die Schock-Strategie zu vermieden und wir müssen weiterhin gegen die Verbrennung von fossilen Brennstoffen kämpfen. Aufgeben ist keine Option, weil jedes Zehntel-Grad zählt und die Unschuldigen die schlimmsten Folgen tragen. Wie kämpfen wir weiter? Wir machen die Bewegung breiter, überlegen uns, wie wir existierende Gesetze verbessern können, suchen ungewöhnliche Botschafter*innen für unsere Message aus und denken uns neue, kreative Taktiken für Massenmobilisierung aus. Keine Gruppe besitzt alleine die Strategie, die uns zum Ziel führt. Unsere einzige Chance ist es, mehrere Strategien synergistisch miteinander zu verweben. Der Weg jenseits der Klimakrise ist holprig; Fehler werden passieren. Trotzdem können wir die Chancen erhöhen, dass wir einem gesellschaftlichen Kollaps vorbeugen. Und falls es doch zu einem Kollaps kommt, bieten unsere Vorbereitungen einen weichen Fall und ein leichteres Aufstehen, um weiterzumachen.

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Payal Parekh
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Written by Payal Parekh

climate scientist turned activist; Swiss, Indian, American immigrant.

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