Schauffelradbagger nahe Lützerath. Aktivisti stehen beim Lagerfeuer oder an der Kante der Grube. Foto von Tim Wagner
Räumungsvorbereitungen in Lützerath. Danke an Tim Wagner für die Benutzung des Fotos! ti.wag.de

Lützerath ist ein echtes Symbol

Payal Parekh

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Da es in meiner Wahlheimat, die Schweiz, Aktionen zur gleichen Zeit gegen das World Economic Forum gab, war ich nicht in Lützerath und folgte der Situation auf Twitter und in den deutschen und Schweizer Medien.

Die Räumung von Lützerath

Trotz einer 2,5 jährigen Besetzung war es so weit — Lützerath wurde geräumt, weil 280 Millionen Tonnen Braunkohle unter dem Dorf liegen und RWE kann noch immer einen Gewinn machen. Es wurde geräumt, obwohl mehrere Gutachten zum Schluss gekommen sind, dass die Kohle nicht nötig sei, und es Deutschlands 1,5 Ziel vernichtet. Kurz gesagt, trotz der Klimakrise, ist Kohleabbau legal.

Anfang Januar haben hunderte Aktivist*innen dem Aufruf der Besetzer*innen gefolgt, Lützerath zu schützen. Trotz der Kälte reisten sie mehrere Kilometer, um an den tiefgelegenen Lützerath zu kommen. Sie schliefen in Baumhäusern, leere Gebäuden und in Zelten — bauten Hindernisse, um die Räumung zu beschweren und kämpften Seite an Seite der Besetzer*innen, um diesen schönen Wald von der Zerstörung zu retten, sowie Deutschland ihre Verantwortung an der Klimakrise wahrzunehmen. Obwohl die Polizei hart war und ein großer Teil des Dorfs schon geräumt war, kamen eine Woche später 35.000 Personen zur bewilligten Demo. Viele unterstützten zum ersten Mal eine Besetzung. Ungefähr 15.000 haben es am Samstag geschafft, durch Polizeiketten zu fließen und Absperrungen durchzubrechen. Nicht weil sie Randalierer sind, sondern sie möchten, dass wir alle eine Zukunft haben und es ihnen klar ist, Kohle aus dem Boden zu holen ist zerstörerisch. Diese gewaltfreie Armee war nicht erfolgreich Lützerath zu retten, aber die Klimabewegung, Deutschland und die ganze Welt haben vieles gewonnen.

Die Besetzer*innen des Waldes und andere Personen, die die Strategie zur Rettung Lützerath aufbauten, waren schlau. Sie hatten einen klaren Kommunikations-, Organising- und Mobilisierungsplan. Lützerath symbolisiert eine rote Linie; wenn Deutschland diese Linie überschreitet, werden 280 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt; dadurch wird Deutschlands Teil am Paris Abkommen nicht gehalten. Diese Tatsache wurde immer wiederholt, mit dem Ergebnis, dass das 1,5 Grad Ziel nicht mehr abstrakt war, sondern sehr real. Bürger*innen und die Medien konnten besser nachvollziehen, was auf dem Spiel steht. Die Rettung Lützerath wäre auch die Rettung des 1,5 Grad Ziels. Wir alle haben eine Wahl: stehen wir auf der richtigen Seite der Geschichte oder stehen wir mit der Industrie, die die Zukunft von allen lebendigen Wesen kaputt machen will? Diese Aussage war nicht leer; es hat mehrere Gutachten von renommierten Forschungsinstitute, wie dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, unter anderem, die aufzeigten, dass Deutschland die Kohle nicht brauchen würde, um die Transition zu überbrücken. Deutschland kann ihre Verantwortung gegenüber dem Pariser Abkommen nicht einhalten, wenn die Kohle unter Lützerath abgebaut wird. Solche Berichte machen die Aussagen der Aktivisti legitimer und glaubwürdiger.

Die Besetzer*innen und die unterstützenden Gruppen von Lützerath haben Anlässe organisiert, von einer Ausstellung mit Fridays for Future (FFF) an der Documenta in Kassel bis zu einer rund um die Uhr besetzten Mahnwache. Besucher*innen waren herzlich eingeladen, um einen Blick in die Besetzung zu werfen, den Wald zu spüren und eine helfende Hand zu geben. Natürlich wurde ein anderes Publikum an der Documenta erreicht und verstärkte auch die Zusammenarbeit mit der größten Klimagruppe des Landes, FFF.

Als es letzten Herbst bekannt wurde, dass Lützerath geräumt wird (nach dem toxischen Deal Habeck und Neubaur mit RWE gemacht hatte) wurde der Aufruf nach Lützerath zu kommen schnell ausgegeben. Leute hatten so genügend Zeit sich vorzubereiten. Ich wette, dass der Einsatz viel größer war als erwartet. Aber die Vorarbeit hat sich gelohnt. Sie haben es geschafft, die Bewegung gleichzeitig zu verbreiten und zu vertiefen/radikalisieren. Selten gibt es Familien, die zu einer unbewilligten Räumungsaktion kommen und das gleiche gilt für viele aus der FFF Bewegung. Viele FFF Mitglieder, unter anderem Luisa Neubauer und Greta Thunberg, haben an die Blockade teilgenommen und haben sich von Polizist*innen wegtragen lassen. Die ausgeübte Gewalt der Polizei hat sicher viele Leute traumatisiert und verängstigt, jedoch behaupte ich, diese sinnlose Gewalt hat viele radikalisiert, im Sinne von wir werden nicht die Konfrontation mit dem Staat scheuen, sondern wir werden noch entschlossener für Klimagerechtigkeit einstehen und kämpfen.

Am Tag der Demo sind etwa die Hälfte der 35.000 Teilnehmenden in Lützerath eingedrungen. Wenn ich zurückblicke und an das erste Mal denke, als ich etwas legitimes, aber illegal gemacht habe, fühlte ich mich frei, weil ich meine Prinzipien auslebte. Für viele Leute war die Überquerung der Absperrung ein persönliches Geschenk, aber auch ein Geschenk für die Bewegung. Wir haben mehrere gewaltfreie Kämpfer*innen für die kommenden Schlachten. Unser kompetitiver Vorteil sind Menschen — je mehr wir sind, desto mächtiger sind wir!

Die Vorarbeit hat dazu geführt, dass eine breitere Bevölkerung als sonst, den Aufruf Lützerath zu retten, nachgegangen ist. Wegen dieses bunten Bildes, gekoppelt mit klaren Messaging, haben zahlreiche Pressen positiv über die Aktion berichtet und stellte den Staat, die Polizei und RWE in Frage. Natürlich gab es auch negative Berichte, aber Lützerath hat es geschafft, das Thema zu setzen. Das Thema vieler Berichte war, ob Deutschland Kohle aus Lützerath braucht und was es für die 1,5 Grad Grenze bedeutet. Das explizite Unterstreichen der 1,5 Grad Grenze diente nicht nur Lützerath, sondern allen Kämpfen gegen fossile Projekte in der Zukunft. Es war auch ein Thema bei den Talkshows mit starker Unterstützung von unerwarteten Ecken, z.B. Komikerin Sarah Bosetti, die bei Maischberger sagte, „die wichtigere Frage ist doch: Werden die Mächtigen dieser Welt so radikal darin bleiben, unsere Lebensgrundlage zu zerstören?” Nicht nur haben Medienberichte die Messages der Bewegung aufgenommen, sondern auch der Diskurs!

Gewalt bei der Räumung war auch ein Thema, von Seiten der Aktivisti und auch von der Polizei. Aber in vielen Berichten stand fest, dass nur einzelne Aktivisti Steine geworfen haben und es war nichts im Vergleich zum Polizeieinsatz. In einem Interview des Tagesspiegel vom 16.01.23 sagt der Gewalt-Experte, Thorsten Benkel, „Polizeigewalt ist immer unverhältnismäßig. Das ergibt sich schon auf der Ausstattungsebene, wenn die einen bewaffnet sind und Schutzkleidung tragen und die anderen nicht.”

Für die Grünen war Lützerath eine Katastrophe; die Partei, welche eigentlich zur Haltung des 1,5 Grad Ziels gewählt wurde, hat einen Deal mit RWE getroffen, obwohl ihre Mitglieder und die Wählerschaft dagegen waren. Wenn Habeck und Neubaur den Kompromiss mit RWE Chef Markus Krebber eine Dekade früher gemacht hätten, hätten sie Lob bekommen. Aber die Erde ist 1,2 Grad wärmer und kein Kompromiss ist mehr möglich. Professor Niklas Höhne vom New Climate Institute sagte dem ZDF gegenüber, dass es keine Zeit mehr für Kompromisse gebe und wenn Lützerath neu ausgehandelt worden wäre, hätten wir den ersten Schritt zur konsequenten Klimaschutz erreicht. Auch wenn die Grünen diesmal die Räumung ermöglichten, ist es unwahrscheinlich, dass es nochmals passiert. Wenn die Grünen den 1,5 Grad Pfad nicht mit allen Mitteln unterstützen, sagen sie ihren eigenen Ast ab.

Obwohl Lützerath nicht zu retten war, ist es ein echtes Symbol für den konsequenten Klimaschutz und deren Einsatz zu einer sozial-ökologischen Transition. Lützi hat die Klimabewegung gestärkt und vergrößert, sowie Bürger*innen und die Medien sensibilisiert, wie wichtig es ist, unter 1,5 Grad zu bleiben. Und der Staat weiss, dass er die Aktivisti nicht für naiv halten kann.

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Payal Parekh

climate scientist turned activist; Swiss, Indian, American immigrant.