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Vernetzte Kämpfe: Freies Palästina und Klimagerechtigkeit

Payal Parekh
4 min readNov 2, 2023

Ich habe mich schwer getan, meine Gedanken über den Krieg zwischen Palästina und Israel in Worte zu fassen. Mehrere Tage fühlte ich mich traurig und zerstreut. Ich bin eine indische Frau mittleren Alters, die in Europa lebt; ich bin weder Jüdin noch Muslimin oder Christin. Warum interessiert mich dieser Krieg als Klimagerechtigkeitsaktivistin so sehr?

Der Angriff auf das Flüchtlingslager Jabalia hat mir geholfen, die richtigen Worte zu finden. Genau in diesem Lager begannen die Palästinenser:innen 1987 die Intifada (Aufstand/Rebellion) gegen die israelische Besatzung, wobei sie eine Vielzahl von Taktiken einsetzten, von Protesten über Boykott und zivilen Ungehorsam bis hin zu Gewalt.

Als 14-Jährigerin verstand ich nicht wirklich, was vor sich ging; obwohl es Unterschiede zwischen dem palästinensischen Kampf & der indischen Unabhängigkeitsbewegung gibt, erklärte mein Vater mir, dass beide auf dem Aufstand der Menschen beruhen, die sich gegen Besatzung und Unterdrückung wehren, dass die UNO Palästina 1948 aufteilte, um Platz für einen jüdischen Staat zu schaffen, und dass die darauf folgenden Kriege mit Israel und seinen arabischen Nachbarn dazu führten, dass Israel seine Grenzen ausdehnte und Palästina seit 1967 besetzte, das heute als die besetzten palästinensischen Gebiete (OPT) bekannt ist. Ich bemerkte, dass Israel gut sei und Opfer des Holocausts gewesen sei. Mein Vater entgegnete mir, dass die Übel der Kolonialherrschaft Indien nicht davon abgehalten haben, Kaschmir zu besetzen und den Menschen das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern. Die Narben der Unterdrückung reichen leider nicht aus, um eine unterdrückte Gruppe davon abzuhalten, eine andere zu unterdrücken.

Obwohl mein Großvater uns viele Geschichten darüber erzählte, wie Widerstand aussieht, schien die Geschichte, wie Indien seine Unabhängigkeit erlangte, so weit weg. Als ich die Intifada im Fernsehen verfolgte,spürte ich, wie repressiv der Kolonialismus ist. Die Palästinenser:innen können sich nicht frei bewegen, und seit 1967 sind 230 neue israelische Siedlungen auf palästinensischem Land entstanden, die nach internationalem Recht als illegal gelten.

Immer mehr Menschenrechtsgruppen und die letzten zwei UN-Sonderberichterstatter:innen für die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten weisen darauf hin, dass es sich bei der Situation in Palästina um Apartheid handelt, die im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definiert wird als «unmenschliche Handlungen … die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten.» Obwohl Palästinenser:innen und Israelis unter einer einzigen territorialen Einheit leben, werden sie in jedem Aspekt des täglichen Lebens unterschiedlich behandelt. Die Gesetze, Regeln und Vorschriften sind für beide Gruppen nicht gleich. Beispiele dafür sind, dass Palästinenser:innen sich nicht frei zwischen Israel und den OPT bewegen können, dass Israel die Palästinenser:innen im Gazastreifen und im Westjordanland getrennt hält und dass es das Selbstbestimmungsrecht innerhalb Israels nur dem jüdischen Volk zugesteht. Der Angriff am 7. Oktober ist in diesem Kontext passiert. Er war grausam und ich kann es mir nicht vorstellen, wie es ist Geisel zu sein oder zu wissen, dass meine Eltern Geiseln sind. Der Kontext in Palästina keineswegs rechtfertigt den Angriff, aber macht ihn erklärbar.

Wenn wir unseren Blick auf Genozid richten, ist es wichtig, diesen Begriff nicht leichtfertig zu verwenden. Dennoch haben 800 Wissenschaftler:innnen, darunter auch Israelis, vor einem drohenden Genozid gewarnt. Dabei handelt es sich nicht um Aktivist:innen, sondern um Menschen, die ihre Tage damit verbringen, die Auslöschung von Völkern in der Vergangenheit zu studieren, warum dies geschieht und wie es verhindert werden kann. Die Aussage des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, «wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend», zeigt, dass die Entmenschlichung auf eine neue Stufe gehoben wurde und das Töten von Zivilist:innen leichter und akzeptabler geworden ist. Siedlerkolonialismus, Apartheid oder Genozid durch Israel anzuprangern, ist nicht antisemitisch, sowie die Verurteilung des Hamas-Anschlags am 7. Oktober ist nicht islamophobisch. Die Kritik bezieht sich auf die Handlungen von Akteuren, nicht ethnische Identitäten. Es ist entscheidend, dass wir konsequent und nicht selektiv Menschenrechte schützen und nach Gerechtigkeit streben. Vielmehr bedeutet es, dass man die Lehren aus dem Holocaust ernst nimmt, um nie wieder Genozid an irgendjemandem zuzulassen. Nie wieder heißt jetzt!

Wenn ich den Kampf für Klimagerechtigkeit und ein freies Palästina vergleiche, sehe ich so viele Parallelen. Der Abbau und die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas hat ihre Wurzeln im Kolonialismus. Die Unternehmen für fossile Brennstoffe und die Länder des Nordens zerstören die Heimat von den Vulnerablesten, um Profite zu machen, und hinterlassen verseuchtes Land. Der Klimawandel spaltet uns. Wer erleidet die schlimmsten Folgen, wer hat Zugang zu den Ressourcen, um damit fertig zu werden? Während die Niederlande in der Lage sein werden, Mauern und Deiche zu bauen, um ihre Bürger:innen vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen, werden Teile von Bangladesch verschwinden. Werden reiche Länder ihre Bürger:innen in Sicherheit bringen, während sie Klimaflüchtlingen die sichere Flucht verwehren, weil sie als entbehrlich gelten? Es sind bereits so viele Menschen durch den Klimawandel gestorben, und wir merken es nicht einmal. Wird sich der Klimagenozid als langsamer Tod der Sprachen, Traditionen und Kulturen der Menschen zeigen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich waren?

Was wir in der Klimakrise und in Palästina sehen, ist ein Ungleichgewicht der Macht, das bereits so viele Menschen getötet hat; beide Kämpfe sind ein klassischer Fall von David gegen Goliath, der in der Gerechtigkeit verwurzelt ist. Vielleicht ist es naiv, aber ich habe die Hoffnung, dass der Kreis der Gewalt durchbrochen werden kann, denn wie die große amerikanische Dichterin Maya Angelou sagte: «Die Wahrheit ist, dass niemand von uns frei sein kann, solange nicht alle frei sind».

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Payal Parekh
Payal Parekh

Written by Payal Parekh

climate scientist turned activist; Swiss, Indian, American immigrant.

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